Wieviele Implantate braucht der Mensch

Diese Frage ist sicherlich nicht pauschal zu beantworten und wird sogar unter Spezialisten kontrovers diskutiert. Abhängig ist sie von anatomisch morphologischen, statischen, funktionellen, finanziellen, vielen allgemeinen (z.B. Gesundheit) und nicht zuletzt auch ethischen Faktoren. Es gibt vereinfacht betrachtet zwei grundlegend unterschiedliche Behandlungsansätze: Das Implantat-pro-Zahn-Protokoll, bei dem versucht wird jeden verloren gegangenen Zahn durch ein Implantat zu ersetzen und das minimalistische Behandlungsprotokoll, bei dem versucht wird mit einer möglichst geringen Implantatzahl eine funktionierende Zahnersatzversorgung herzustellen.
Beide Konzepte weisen Vor-und Nachteile auf und stellen sozusagen die Grenzbereiche des implantologischen Handelns dar. Trotzdem haben beide Konzepte ihre Berechtigung und finden in individuellen Situationen auch ihre Anwendung.
Im Allgemeinen werden aber Kompromisse bezüglich anatomischer, funktioneller, zeitlicher, finanzieller, usw. Faktoren zu einer individuell sehr unterschiedlichen Implantatzahl bei unterschiedlichen individuellen Behandlungsfällen führen. Dies sollten sie ausführlich mit ihrem Implantologen besprechen. Er wird ihnen die Vor- und Nachteile verschiedener Implantatzahlen und der sich daraus ergebenden Konsequenzen bezüglich der Zahnersatzversorgung (festsitzend oder herausnehmbar) aber auch bezüglich des Behandlungsaufwandes (Knochenaufbaumaßnahmen notwendig?) und der finanziellen Aspekte gerne erklären.
Wie aktuell die Problematik der Implantatzahl auch für implantologische Spezialisten ist, zeigt, dass diese Thematik auf dem jährlichen Treffen der Absolventen des Masterstudienganges Implantologie, dem Reunion 2010,  im November des letzten Jahres ebenfalls dieses Thema behandelte: „Wie viel Implantate braucht der Mensch?“

Summary des Reunionin Berlin am 13.11.2010
Vom Freitag, den 12. November 2010 bis zum Sonntag, den 14. November fand beareits zum vierten Mal das Mastertreffen „Reunion“ in Berlin statt. Aus dem ganzen Bundesgebiet kamen mehr als 70 „Master of Science in Oral Implantology“ in Berlin zu ihrer jährlichen Tagung – „Reunion“ – zusammen. Auch in diesem Jahr wurde die Veranstaltung, die auch für implantologisch interessierte Zahnärztinnen und Zahnärzte aus Berlin und dem Umland offen ist, von den Berliner Zahnärzten und Implantologen Dr. Derk Siebers MSc., Peter Albrecht MSc., Dr. Georg Rossmann-Heuer MSc und Dr. Jörn Werdelmann MSc. organisiert.

Das Thema des Reunion 2010 war: „Wie viel Implantate braucht der Mensch?“ Ziel des straffen Fortbildungswochenendes sollte es sein Therapien mit unterschiedlichen Implantatzahlen vorzustellen, die verschiedenen Indikationsgebiete zu differenzieren und Vor- und Nachteile der einzelnen Therapien zu beleuchten. Sinn und Zweck einer solchen Veranstaltung ist die fortwährende Auseinandersetzung  sowie die Diskussion und der Erfahrungsaustausch qualifizierter Spezialisten auf hohem Fachniveau zur Verbesserung der Ergebnisqualität implantologischer Versorgung für unsere Patienten. Ein vollgepacktes aber interessantes Tagungsprogramm erwartete die Teilnehmer der Reunion 2010.

Eröffnet wurde das Mastertreffen am Freitag Abend beim Sektempfang im Hotel, wo sich Gäste, Referenten und Teilnehmer nach Anreise nach Berlin trafen. Traditionell fand das Eröffnungsdiner im Restaurant Lochner statt. Kollegialer Erfahrungsaustausch und Pflege der bestehenden und Aufbau neuer „Masterfreundschaften“ stand im Vordergrund des ersten Abends. Ein straffes, interessantes Fortbildungsprogramm erwartet die Teilnehmer des 4. Reunion Samstag. Das Motto des Jahres 2010 lautete „Wie viel Implantate braucht der Mensch?“

Die  beiden Hauptreferenten, Dr. Ackermann und Prof. Brägger sollten Antwort auf die Frage nach der medizinisch sinnvollen und auch notwendigen Implantatzahl zu geben. Es standen sich zwei Vertreter unterschiedlicher Philosophien gegenüber, die uns zu überzeugten, dass in unterschiedlichen Indikationen verschiedene Implantatzahlen möglich und auch sinnvoll sein können. Prof. Brägger verteidigte das „Schweizer Sparkonzept“ mit möglichst geringer Implantatzahl einen kostengünstigen, aber langfristigen und nachhaltigen Erfolg zu erzielen. Geiz ist geil – kann sich dieser Werbeslogan auch in der Zahnmedizin bewahrheiten oder ist diese Philosophie unserer Wegwerfgesellschaft bezogen auf medizinische Therapiekonzepte womöglich gesundheitsgefährdend.

Demgegenüber versuchte Dr. Ackermann aufzuzeigen, dass man auch mit ein bisschen mehr erfolgreich therapieren und medizinisch sinnvoll restaurieren kann. Aber wo sind die Grenzen? Bedeutet Mehraufwand immer auch automatisch einen höheren Nutzen für den Patienten? Dr. Ackermann erläuterte uns die Philosophie, dass Zähne verloren gehen und durch künstliche Zahnwurzeln ersetzt werden – also im Extremfall jeder Zahn durch ein Implantat ersetzt werden kann. Als besonderer Gast war Frau Prof. Bleker geladen, die als emeritierte Professorin für Geschichte der Medizin zu ethischen Aspekten der Zahnmedizin Stellung bezog.

Ganz besonderer Dank gilt auch dieses Jahr wieder der Industrie, die dieses Treffen großzügig unterstützt hat und es somit im Prinzip in dieser Form erst ermöglichte. Unsere Hauptsponsoren waren: BTI (Biotechnology Institute), Nobel Biocare und Straumann. Sponsoren waren Astra Tech und BioHorizons und als Unterstützer bedanken wir uns bei Geistlich und Botiss, Camlog, Thommen, Zimmer, Sybron, Dentsply, ADS, Dr. Güldener Gruppe, Dentalpoint und Meisinger.

Eröffnet wurde die Fortbildungsveranstaltung von Prof. Dr. Günter Dhom, der in seinen einleitenden Worten den Erfolg des Masterstudienganges in den Mittelpunkt stellte. Man könne drei Stadien des Erfolges unterscheiden: Stadium 1: „das belächelt werden“, Stadium 2: „das bekämpft werden“ und die höchste Stufe des Erfolges- das Stadium 3: „das kopiert werden“. Prof. Dhom betonte, dass der Masterstudiengang für orale Implantologie inzwischen im dritten Stadium also der höchsten Stufe des Erfolges angelangt sei, weil er zahlreiche Nachahmer gefunden hat.

Prof. Dr. Urs Brägger, Leiter der Kronen- und Brückenprothetik der Universität Bern sowie Medical Manager eröffnete das wissenschaftliche Hauptprogramm. Sein Vortrag beleuchtete die bestehende wissenschaftliche Evidenz für verschiedene Implatationsindikationen bei unterschiedlichen Belastungsprotokollen. Er konnte belegen, dass bezüglich des Implantatüberlebens mit allen Implantationsprotokollen auch bei geringen Implantatzahlen ausgezeichnete Resultate erzielt werden können. Ein Einfluss der Implantatzahl auf das Implantatüberleben besteht nicht, allerdings gibt es starke Korrelation zu möglichen Komplikationen. Im zweiten Teil seines Referates verdeutlichte Prof. Brägger die verschiedensten ökonomischen Aspekte implantatgetragener und herkömmlicher Rekonstruktionen sowie Kosten-Nutzen-Analysen unterschiedlicher Therapien. Eine definitive minimale oder maximale Implantatzahl für unterschiedliche Indikationen wurde selbstverständlich nicht genannt. Vielmehr ist das individuelle Therapieangebot eines Behandlers von zahlreichen Einzelfaktoren abhängig wie z.B. Ausbildungsstand, Ausstattung, Fähigkeiten und Erfahrung des Behandlers. Zusammenfassend kann zur Implantatzahl konstatiert werden: So viel wie nötig aber so wenig wie möglich.

Den Gegenpol als Hauptreferent vertrat der allen bestens, als unser Lehrer aus dem Masterstudium, bekannte Dr. Karl-Ludwig Ackermann. Er stellte sein vielfach praktiziertes Implantat pro Zahn-Konzept vor. Nur durch das Austesten von Grenzen in beide Richtungen kann beurteilt werden, wo ein medizinisch sinnvoller Mittelwert gefunden werden kann. Das Optimum ist immer das beste erreichbare Resultat im Sinne eines Kompromisses zwischen verschiedenen Parametern. Die Richtigkeit seiner These versuchte er durch zahlreiche Falldokumentationen von Implantatrekonstruktionen zu belegen. Dr. Ackermann zeigte Bilder von Restaurationen, die länger als 30 Jahre erfolgreich in Funktion standen und noch stehen. Lieber ein Implantat mehr aus prothetischer Sicht, auch wenn es zur Stabilisation des Zahnersatzes nicht unbedingt erforderlich ist. Es dient der Vereinfachung späterer prothetischer Arbeitsschritte und hilft zukünftige Komplikationen zu verhindern oder die Lösung dieser Komplikationen einfacher zu gestalten.


li: Prof. Brägger, Dr. Ackermann und Prof. Dhom (v.li.), re: das Auditorium

Abgerundet wurde das Fortbildungsprogramm durch Frau Prof. Johanna Bleker. Sie betonte, dass es ein zunehmendes Interesse an ethischer Rechtfertigung in allen Bereichen der Gesellschaft zu bemerken sei. „Kann das Herstellen sozialer Gerechtigkeit noch als ärztliches Ziel betrachtet werden?“ war ihre provokante Fragestellung. In der heutigen Zeit sollten Ärzte zumindest versuchen vorhandene soziale Unterschiede nicht noch zu verschärfen. Entscheidend für ein ethisch korrektes Prozedere des Arztes ist im Hinblick auf die Prinzipienethik nicht das Abarbeiten einer Checkliste Nutzen- und Schadenabwägung sondern die Verantwortung des Arztes für jeden individuellen Einzelfall. Auch sie antwortete auf die Frage „Wie viel Implantate braucht der Mensch?“ und stellte fest: „Soviel, wie der Implantologe ihm rät, sofern er dem vertrauen kann:“ Frau Prof. Bleker beschloss ihren Vortrag mit einem Plädoyer für eine Verbesserung der Schulzahnmedizin und der Prävention sowie dem politischen Engagement der Ärzteschaft für den Verbleib medizinisch notwendiger Leistungen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen.

Auch das Programm für das nächste Reunion im Jahr 2011 konnte bereits  vorgestellt werden. Die Organisatoren freuen sich mit Dr. Eduardo Anitua, Dr. Gerhard Iglhaut und Prof. Fouad Khoury wiederum absolut hochkarätige Referenten für die Fortbildungsveranstaltung in Berlin gewonnen zu haben.

Den Abschluss des anstrengenden Fortbildungstages bildete das Diner im Restaurant Käfer in der Reichstagskuppel. Hier standen ungezwungene fachliche und private Diskussionen der Teilnehmer und Referenten im Vordergrund. Der Sonntag stand dann ganz im Zeichen des kollegialen Austausches bei einem Brunch im Restaurant von Sarah Wiener im Hamburger Bahnhof.